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DER EIGENE SENF

Weit mehr als DSGVO und Gleichbehandlung
Compliance im Rekrutierungsprozess

In unserer beruflichen Praxis stellen wir oft fest, dass das Wort „Compliance“ fast ausschließlich mit rein juristischen Themen assoziiert wird und der Einstellungsprozess selten im Fokus dieser Überlegungen steht. Es ist ratsam, anhand verschiedener Szenarien zu prüfen, wie detailliert man Compliance-Standards für die Rekrutierung im Unternehmen definieren möchte.

Neben den rechtlichen Fragestellungen bringt der Compliance- Begriff speziell in der Rekrutierung von Führungskräften noch wei- tere Aspekte mit, die eher in den Bereich „Code of Conduct“ fallen oder mittelbar aus den Paragrafen zur Abwendung von wirtschaftli- chem Schaden vom Unternehmen hervorgehen. Sie sind schwieriger zu greifen und oft mit der Frage „Brauche ich dafür einen Standard- prozess?“ verbunden: zum Beispiel der Schutz des Unternehmens vor Betrug oder Imageschäden durch Bewerber oder künftige Stel- leninhaber, der Umgang mit Referenzgebern und Informationen zu Bewerbern oder der Prozess für interne Bewerbungen.

Bewerberbetrug aufdecken

Als Unternehmerin und Unternehmer ist es nicht nur eine Ver- pflichtung, sondern ureigenstes Interesse, die Firma durch ein sinnvoll gestaltetes Compliance-Management vor Schaden zu bewahren. Dazu zählen auch der klassische Bewerbungsbetrug durch die Manipulation von Dokumenten, Imageschäden oder mögliche Angriffspunkte für Erpressungsversuche. Ein erster, maßgeblicher Aspekt eines erfolgreichen Compliance-Manage- ments ist es, keine Mitarbeitenden einzustellen, die offensichtlich ein bestimmtes Verständnis von Compliance nicht teilen und damit alle Bemühungen vonseiten der Geschäftsleitung gefähr- den. Um kritische Punkte aufzudecken, stehen Personalverant- wortlichen neben Fragen im Bewerbungsgespräch zunächst die datenschutzkonforme Prüfung der eingereichten Unterlagen zur Verfügung – angefangen bei der Konsistenz von Schriftarten und -größen über Unterschriften und Formulierungen bis zur zum jeweiligen Datum passenden Aktualität des Geschäftspapiers und Logos. Darüber hinaus ist es legitim und gelebte Praxis, alle frei verfügbaren Informationen zu sichten und gegebenenfalls den Bewerber im Gespräch mit Auffälligkeiten zu konfrontieren. Bei der Besetzung von Fachkräften und mittleren Führungskräften haben Sie damit sicherlich die notwendigen Maßnahmen ergriffen – wie sieht es aber bei der Besetzung von exponierten Positionen aus? Wir haben die Erfahrung gemacht, dass hier häufig wesentlich umfangreichere Background-Checks durchgeführt und sogar Detekteien beauftragt werden, um sicherzustellen, dass es auch im privaten Umfeld desjenigen nichts gibt, was einerseits zu Reputationsschäden für das Unternehmen führen oder anderer- seits die Person selbst in ihrer Entscheidungsfunktion erpressbar machen könnte.

Erpressung mit privaten Details

Bestechung von Entscheidungsträgern ist ein bekanntes Problem, dem man schon heute mit klaren Prozessen entgegenwirken kann. Wesentlich subtiler und schwieriger zu erkennen ist hingegen die gezielte Erpressung mit privaten Details – seien es umfangreichere „Jugendsünden“, außereheliche Affären oder ein zwielichtiger Bekanntenkreis. Was sich hier objektiv beschrieben eher nach „Tatort“ und Kriminalroman anhört, fängt oft im Kleinen an und ist daher zumindest nicht vollkommen aus der Luft gegriffen. So pri- vat viele dieser Dinge auch sind: Je deutlicher eine Person in ihrer Funktion in der öffentlichen Wahrnehmung steht, desto interes- santer werden auch Details aus ihrem Umfeld, die dann schneller, als es Unternehmerinnen und Unternehmern lieb sein kann, in Ver- bindung mit dem Unternehmen gebracht werden.

Der Nutzen von Referenzen

In diesem Zusammenhang spielen persönliche Referenzen eine große Rolle. Sowohl hinsichtlich der fachlichen Eignung als auch der persönlichen- und Führungsqualitäten lassen sich so interessante Erkenntnisse gewinnen, meistens schon aus der Tonlage und Neben- sätzen des Referenzgebers. Faktisch sind Referenzen aufgrund des Datenschutzes nur bei den vom Bewerber genannten Referenzge- bern einzuholen, auch wenn die gelebte Praxis unserer Erfahrung nach oft leider anders ist. Über die Werthaltigkeit der Aussagen die- ser sicherlich Wohlgesonnenen kann man sicherlich diskutieren. Ganz anders ist die Aussagekraft von Referenzgebern, mit denen man persönlich verbunden ist. Ich bin mir sicher, dass jeder von uns die Situation kennt, in der über mögliche Kandidaten für eine Vakanz gesprochen wird und auch in kleiner und vertraulicher Runde jemand sagt: „Den kenn ich …“. Und sind Sie als Unternehmer nicht schlecht beraten, Hinweise oder sogar Warnungen nicht in Ihre Überlegun- gen einzubeziehen? Um sicherzugehen, dass ein zu forsches Nach- fragen nicht zu datenschutzrechtlichen Problemen führt, empfehle ich, den Kandidaten darum zu bitten, diese zusätzlichen, namentlich genannten Personen als Referenzgeber freizugeben. Gleiches gilt für den Fall, dass das eigene Netzwerk mögliche Referenzgeber bereithält. Oft ist schon die Reaktion auf Ihre Bitte ein zusätzlicher Mosaikstein für Ihre Entscheidung.

Blacklists führen

Ihre Erfahrungen möchten Sie gerne „konservieren“, um im Zwei- fel nicht mit der gleichen Person unwissentlich ein zweites Mal in Gespräche einzusteigen. Auf erster Ebene ist diese Chance zwar gering, aber zum Beispiel in der Zusammenarbeit mit Personalbe- ratern kann es durchaus vorkommen, dass innerhalb einer kleinen Branche Kandidaten vorgeschlagen werden, die man aus der Ver- gangenheit kennt. Dass das Führen expliziter Negativlisten – auch Blacklists genannt – datenschutzrechtlich relevant und komplex in der Umsetzung ist, ist nachvollziehbar und ein Thema für Juristen. Wie möchten Sie als Unternehmer aber mit der „Erinne- rungs-Blacklist“ umgehen? Sie nicht zu nutzen, wäre töricht; dennoch rate ich dazu, sich ein aktuelles Bild zu machen und nicht leichtfertig zu urteilen.

Umgang mit internen Bewerbungen

Gleichbehandlung bezieht sich nicht nur auf die Inhalte des AGGs, sondern durchaus auch auf den Umgang mit internen Bewerbern. Wachstum, Zukäufe und Zusammenschlüsse machen auch interne Bewerbungsprozesse komplexer, sodass es ratsam ist, zu prüfen, ob man in den Compliance-Richtlinien einen Standard etablieren möchte, wie mit internen Bewerbungen verfahren wird. Sind sie externen Kandidaten gleichgestellt oder sollen sie Vorrang genie- ßen? Wenn ja: Wie stellen Sie sicher, dass tatsächlich alle intern infrage kommenden Personen Kenntnis von der Vakanz bekommen und idealerweise gezielt von ihren Führungskräften darauf ange- sprochen werden? Wie gehen Sie mit Situationen um, in denen dis- kret ein Nachfolger gesucht werden soll? Und wie bewerten Sie den „Vorteil“, dass er oder sie Prozesse, Systeme und Kultur kennt und Sie den Vorteil haben, zu „wissen, was man hat“? Um alle für das Unternehmen relevanten Compliance-Aspekte sicher zu berück- sichtigen, empfehle ich, auch die zunächst abwegig klingenden Sze- narien einmal zu durchdenken.

Erstveröffentlichung in: DIE NEWS MÄRZ 2022
Alexandra Dohmgans
Alexandra Dohmgans